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Donnerstag, 29.08.2002 |
Mitten aus dem Menschenstrom |
Der Greifswalder Raymond Jarchow stellt in Rostock seine Annäherungen an New York aus |
Rostock Künstlerische Fotografen wie Bruce Davidson, Weegee, Diane
Arbus oder Andreas Feininger haben uns auf unterschiedlichste Weise ihr Bild von
New York ins Gedächtnis gebrannt. Deshalb hat wohl jeder von uns, selbst wenn
er – wie die meisten Europäer – noch nie dort war, seine
bildnerische Vorstellung von dieser Stadt.
Raymond Jarchow ging im April und Mai 2001 für acht Wochen
nach New York, um die Stadt auf seine Weise mit der Kamera zu erkunden. 107
Schwarz-Weiß-Fotografien sind jetzt als sichtbares Ergebnis seiner Suche
ausgestellt.
Der Blick des Betrachters wird sofort auf Details gelenkt:
Körper, die kopflos durchs Bild huschen, eine Einkaufstasche, das Drehkreuz der
U-Bahn und immer wieder Hände, die zum Mikrokosmos des menschlichen Alltags
werden. Die Empfindung des Anfangs war der gesichtslose Menschenstrom. Die
Menschen der Stadt sind es auch, denen der Fotograf auf die Spur kommen will. Er
sucht den Kontakt und dokumentiert diesen Weg gleichzeitig mit seiner Kamera.
Und dies ist wohl das spannendste Moment der Ausstellung; der Besucher fühlt
sich hineingesogen in die Geschäftigkeiten und die Ruhelosigkeit der Stadt. Die
Fotografien zwingen immer wieder zum Innehalten, lassen teilhaben an den
Geschichten der Straße. Raymond Jarchow sieht seine Fotografien auch in erster
Linie als Angebot an den Betrachter, der „Platz nehmen“ soll im Bild.
Die New Yorker beschreibt der 46-Jährige als „lichtscheu“.
Die Hälfte seiner Bitten um ein Porträt wurden zunächst abgelehnt, berichtet er.
So verlässt sich der Fotograf zunächst auch auf den Zufall. Die Automatikkamera
hängt am kurzen Riemen vor der Brust, ohne Blick durch den Sucher wird
ausgelöst. Der Körper wird gleichsam selbst zur Kamera, und die im Menschenstrom
entstehenden Bilder überraschen ihrerseits durch ihre Körperlichkeit. Nur die
überdimensionalen Gesichter der Werbetafeln schauen uns an. Später entstehen
auch direkte Porträts, meist nach langen Gesprächen.
Die Ausstellung ist in acht Gruppen zu verschiedenen Themen
strukturiert. „Paare“ ist eines dieser Themen. Menschen werden auf den Fotos zum
Paar durch Zufall oder Zeitlauf, oder sie sind Paare durch gemeinsames Leben
oder Liebe. Einen Komplex hat Raymond Jarchow dem zweiwöchigen Aufenthalt seiner
Frau Claudia Lohse gewidmet, deren Tagebuchsequenzen die Begleittexte zu
Ausstellung sind. Durch ihre Ankunft verändert sich das Lebenstempo des
Fotografen drastisch.
Claudia Lohse ist Rollstuhlfahrerin, erkundet in ihrem
elektrischen Gefährt die Stadt in einem anderen Rhythmus, aus einer anderen
Sicht. Dass sie zudem die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich zieht,
erleichtert das Fotografieren und erschließt neue Kontakte. Die in diesen Tagen
entstehenden Fotografien scheinen von Humor und besonderer Leichtigkeit beseelt.
Raymond Jarchow arbeitete in New York mit Kleinbild- und
Panoramakamera. Die Panoramafotografien wirken dabei nicht, wie so oft, als
netter Effekt, sie weiten den Blick und integrieren sich so in das
Gesamtkonzept. Die Arbeit mit „puristischer“ Schwarz-Weiß-Technologie ist für
Jarchow, der sich eigentlich am Rechenzentrum der Greifswalder Universität mit
elektronischer Bildbearbeitung und -archivierung beschäftigt, die ihm
entsprechende Ausdrucksform. Den ausgestellten Fotografien ist eine sorgfältige
Vollendung in der Dunkelkammer anzusehen.
Die Ausstellung „New York – Fremde Vertraute“ ist
noch bis 16. September in der Nikolaikirche Rostock zu sehen. Eine Webseite mit
den ausführlichen Texten und einer Bildauswahl ist als Ergänzung der Exposition
unter www.ny-fremde-vertraute.de zu finden.
THOMAS HÄNTZSCHEL © 1999-2001, Alle Rechte
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